Open Access
Issue
BIO Web Conf.
Volume 9, 2017
40th World Congress of Vine and Wine
Article Number 03023
Number of page(s) 7
Section Economy and Law
DOI https://doi.org/10.1051/bioconf/20170903023
Published online 04 July 2017

© The Authors, published by EDP Sciences 2017

Licence Creative CommonsThis is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/).

1. Einleitung

Weintourismus ist erst Mitte der 1990er Jahre in den Blickwinkel der Forschung gerückt [1], auch wenn sich die ersten schwerpunktmäßigen Untersuchungen hauptsächlich auf die “Neue Welt” beziehen [2]. In unserer mitteleuropäischen Gegenwart haben mittlerweile viele Branchenverbände, Organisationen und Institutionen das Thema zum Gegenstand wissenschaftlicher Tagungen gemacht [3]. Auch die Bundesregierung sieht - wie sie in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage über die Potenziale der Winzerbetriebe durch Tourismus deutlich macht - im Weintourismus ein interessantes Marktsegment für das Reiseland Deutschland, der Winzern Diversifizierungsmöglichkeiten und Chancen bietet, um damit ihre Wertschöpfung sowohl im Weinbau als auch im Tourismus zu steigern [4]. So können Weinbaubetriebe durch Tourismusaktivitäten ein zusätzliches Einkommen generieren und ein weiteres ökonomisches Standbein realisieren [5], denn der Verkauf weintouristischer Leistungen steht in engem Zusammenhang mit dem Direktabsatz des Produktes Wein [6]. Generell ist es dabei am Produzenten zu entscheiden, welche möglichen Vertriebsarten er mit seinen weintouristischen Aktivitäten kombiniert: Zum einen kann dies in Form eines Direktvertriebs geschehen, in dem er den Wein unmittelbar an gewerbliche oder private Kunden vertreibt und durch die Einbeziehung der Komponente Weintourismus eine zusätzliche Möglichkeit der Wertschöpfung nutzt [7]. Zum Zweiten besteht die Option, indirekt als Zulieferer von Handel und Gastronomie über den in der Destination durchgeführten Weintourismus zu partizipieren [3, 8].

Insgesamt gesehen hat sich der Weintourismus in den letzten Jahren in Deutschland zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Faktor in der Weinbranche entwickelt. Im Weinanbaugebiet Franken beispielsweise wird dem weintouristischen Dienstleistungsumfeld eine Verzehnfachung des eigentlichen Weinumsatzes zugeschrieben [9]. Bezogen auf die Akteure der deutschen Weinwirtschaft spielen dabei die Winzergenossenschaften eine bedeutende Rolle, denn mit ihren Mitgliedern verantworten sie ein Drittel der gesamten deutschen Weinproduktion (10). Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) zählte im Weinwirtschaftsjahr 2013/2014 169 Winzergenossenschaften, davon 96 mit eigener Kellerwirtschaft, die beiden Weinbaugebiete Baden und Württemberg stellen dabei fast 65 Prozent der von deutschen Winzergenossenschaften verarbeiteten Anbaufläche [11]. Allerdings sank sowohl die Zahl der deutschen Winzergenossenschaften ebenso wie der Umsatz im Ganzen in den letzten 20 Jahren. Die Winzergenossenschaften verloren fast 10.000 Hektar Anbaufläche und rund 20 Prozent Marktanteil [12]. In diesem Spannungsfeld stellt sich die Frage, inwieweit Winzergenossenschaften vom Trend des Weintourismus, den damit verbundenen Direktabsatzmöglichkeiten und den Möglichkeiten der Diversifizierung partizipieren. Denn laut Kagermeier und Harms [13] profitieren gerade Winzergenossenschaften auch von den zusätzlichen Vertriebsmöglichkeiten des Weintourismus, da sie über einen hohen Grad an regionaler Bekanntheit und Vernetzung verfügen sowie durch ihre Größe und Anzahl der involvierten Winzer großes Potenzial bei der Durchführung aber auch hinsichtlich der Kommunikation von Weinveranstaltungen haben.

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, der Frage nachzugehen, inwieweit sich Winzergenossenschaften im Bereich des Weintourismus engagieren und welche Ziele sie damit verfolgen, wie sie den in der Literatur beschriebenen Direktabsatz fördern und ob dies ein weitergehender Wertschöpfungsbereich für die Winzergenossenschaften darstellt. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die Mitglieder einer Winzergenossenschaft als Komponente bei der Durchführung von weintouristischen Aktivitäten einbringen.

2. Methodisches Vorgehen

Für eine erste Einschätzung über den Stellenwert von Weintourismus für Winzergenossenschaften wurde die bestehende Fachliteratur im Bereich Tourismus und Weintourismus gesichtet. Die bestehende Literatur setzt sich jedoch mit dem Forschungsbereich Weintourismus und Winzergenossenschaften nur wenig auseinander. Vor allem aber zeigte der Vergleich, dass in der Literatur sehr unterschiedliche und weitläufige Definitionen von “Weintourismus” vorherrschen. Diese dort bestehenden Definitionen werden deshalb zunächst in Kapitel 3 gegenübergestellt und die Kernaussagen der definitorischen Ansätze zusammengefasst.

Nach der begrifflichen Definition wurden im zweiten Schritt die Geschäftsführer der Winzergenossenschaften der beiden Weinanbaugebiete Baden und Württemberg anhand eines standardisierten Online-Fragebogens befragt. Hierfür wurden die Teilnehmer telefonisch kontaktiert und der Link zum Fragebogen elektronisch versandt. Die Wahl des Untersuchungsgebietes ergab sich aus der Größe der verarbeiteten Fläche und der räumlichen und kulturellen Nähe. Dies läßt einen direkten Vergleich der beiden Gebiete zu. Bei der Befragung nahmen 37 der 45 kontaktierten Betriebe teil.

Der Fragebogen untergliederte sich in drei Teile: Die Erhebung allgemeiner Betriebsdaten, Fragen zum Einfluss von Weintourismus und inwieweit die Mitglieder bei weintouristischen Aktivitäten involviert sind. Aufgrund der Flächenabfrage nahmen bei der Befragung Betriebe, die insgesamt rund 65 Prozent der baden-württembergischen Genossenschaftsfläche verarbeiten, teil. Im Wesentlichen wurden geschlossene Fragen verwendet. Wo möglich, wurde eine sechsstufige Likert-Skal (1 = sehr häufig/sehr hoch bis 6 = sehr gering/nie) angewendet. Auf offene Fragen wurde weitgehend verzichtet. Zur Überprüfung der Signifikanz wurde der Wilcoxon-Mann-Whitney-Test (MWU-Test) verwendet. Der MWU-Test ist ein nichtparametrischer Test, der keine großen Stichproben voraussetzt. Liegen mindestens sechs Beobachtungen vor, kann er verwendet werden [14].

Um die Ergebnisse der quantitativen Befragung in das weite Feld des Weintourismus einzuordnen und auch unterschiedliche Blickwinkel einzubinden, wurden vier der schriftlich befragten Geschäftsführer um ein persönliches Interview gebeten. Die Auswahl der Befragten folgte der Größe und unterschiedlichen Mitgliederzahl der Winzergenossenschaften. Für die Befragung wurde ein einheitlicher Interviewleitfaden verwendet, um eine vergleichbare Auswertung sicherzustellen. Die Interviews wurden im Anschluss transkribiert.

3. Überblick aus der Literatur

Der Begriff des Weintourismus wurde erstmals von der AUSTRALIAN TOURIST COMMISSION zu Beginn der 1990er Jahre aufgegriffen [15]. Da sich in der Wissenschaft bzw. auch in der Wahrnehmung der Marktteilnehmer jedoch bis heute keine einheitliche Definition des Weintourismus findet, bietet dies Raum für eine Vielzahl von definitorischen weitgreifenden Ansätzen [16]. Die literarische Recherche zeigt, dass die Begrifflichkeit “Weintourismus” nicht genau abgegrenzt wird, ebenso wenig, inwieweit weintouristische Leistungen als solche definitorisch maßgeblich sind.

In einer der Ersten, sehr nachfrageorientierten Definitionen für Weintourismus von HALL [17] sowie der SOUTH AUSTRALIAN TOURISM COMMISION [18], wird aufgezeigt, dass der Besuch von Weinproben und das Weinerlebnis den primären Motivationsfaktor ausmachen. Diese Definition wurde von vielen Autoren aufgegriffen und erweitert [16]. Die Grundlagendefinition über den primären Motivationsfaktor zeigt aber auch, dass es schwierig ist, einen globalen definitorischen Ansatz zu finden und Weintourismus sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. So scheint diese Grundlagendefinition mit dem primären Motivationsfaktoren auf viele Regionen der “Neuen Welt” übertragbar zu sein. In RÜDIGER et al. [19] wird dargelegt, dass dieses Reiseverhalten für den deutschen Markt nur sehr bedingt anwendbar ist, da der Weinreisende, der gezielt Zeit in einer Weinregion verbringt, um mehr über die Weine der entsprechenden Region, die Weinproduktion und die Winzer zu erfahren, nur einen geringen Prozentsatz der weinaffinen Touristen ausmacht. Die potenziellen Nutzer von weintouristischen Angeboten sind weinaffine Touristen, die in einer bestimmten Region ihren Urlaub verbringen und vom Thema Wein am Rande berührt werden möchten. Dies wird auch durch die Definitionen von CARLSON & DOWLING [20], WINEMAKERS FEDERARTION OF AUSTRALIA [21], ASSEMBLÉE DES RÉGIONS EUROPÉ-ENNES VITICOLES (arev) [22] oder DELOITTE [23] unterstützt, die nicht von Weinproben oder dem Weinerlebnis als primären Motivationsfaktor für einen Besuch der Region ausgehen, sondern von einem Zusammenspiel von Wein, Kultur, Gastronomie, Kunst, Bildung und Reiseerlebnisse. Diese sehr nachfrageorientierten Definitionen insgesamt, sehen den Weintourismus aus Sicht des Konsumenten. GETZ [7] und GETZ und BROWN [24] erweitern diese Sichtweise um eine weitere Hauptperspektive, nämlich die der Marketingstrategie der Anbieter. Hier ist der Weintourismus eine Möglichkeit des Direktmarketings für Weinanbieter. So zeigt sich, dass Weintourismus in seiner Definition mehrere Sichtweisen beinhalten sollte. In Abbildung 1 sind die Kernaussagen der am häufigsten in der Literatur verwendeten Definitionsansätze zusammengefasst, sowie in die beiden Blickwinkel der Konsumenten und Anbieter aufgeteilt.

thumbnail Abb 1.

Sichtweisen auf den Weintourismus.

Eine Schnittmenge, den die meisten Definitionen aufgreifen, ist die Reise zum Destinationsziel. Diese Tatsache deckt sich auch mit der Tourismusdefinition der Welttourismusorganisation (WTO) bei der Touristen Personen sind: “die zu Orten außerhalb ihres gewöhnlichen Umfelds reisen…” Damit fallen unter den Begriff Tourismus auch Ausflügler und Tagesgäste. Ausschlaggebend ist, dass eine Ortsveränderung stattgefunden hat [25].

Im Zuge der persönlichen Befragung der Geschäftsführer wurde auch nachgefragt, wie sie den Begriff Weintourismus definieren würden. Hier zeigte sich deutlich, dass die jeweilige subjektive Sichtweise die grundlegende Zusammenfassung der definitorischen Kernaussagen prägt. So definierte Experte 1: “… Weinveranstaltungen, Aktionen im Weinberg, um gezielt Verbraucher in unsere Vinotheken für unser Direktgeschäft zu begeistern…” oder Experte 2: “…eine Weinregion besuchten und dort neben dem reinen Kennenlernen von Weinen auch, sag ich mal, auch Veranstaltungen besuchen die sich mit dem Thema Wein auseinandersetzt, das heißt Weinproben, Vinothekenbesuch oder vielleicht auch mal einen Weinbaulehrpfad besuchen.”

In der Folge lässt sich festhalten, dass die Definition des Weintourismus immer - je nach Blickwinkel - die Sichtweise des Anbieters oder Nachfragers annimmt und die jeweiligen komprimierten Kernaussagen aus Abbildung 1 enthält.

4. Ergebnisse

4.1. Einfluss von Weintourismus auf den Direktverkauf

Um den Bezug von Winzergenossenschaften zum Weintourismus zu eruieren, wurde in der Befragung erhoben, ob weintouristische Aktivitäten einer Winzergenossenschaft Einflüsse auf den Direktverkauf haben (siehe Tabelle 1). Dies wurde mithilfe einer sechsstufigen Likert-Skala (1 = sehr hohen Einfluss bis 6= keinen Einfluss) erhoben (siehe Tabelle 1). Hier zeigte sich, dass über 90 Prozent einen direkten Zusammenhang sehen (Stufen 1, 2 und 3). Zwischen den beiden Anbaugebieten waren hier keine Unterschiede festzustellen (zweis. MWU-Test: p=0 ,8103).

Tabelle 1.

Einfluss Weintourismus auf den Direktverkauf von Winzergenossenschaften.

Nach Aussage des Deutschen Weininstituts (DWI) hat sich Weintourismus in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor für die deutsche Weinindustrie entwickelt. Dies stützt sich auf die Aussage, dass Menschen eine besonders intensive Beziehung zu deutschem Wein haben, wenn sie selbst in Kontakt mit dem Winzer gekommen sind und die Weinbauregion besucht haben [26]. Um zu überprüfen, ob auch Winzergenossenschaften von diesem Trend profitieren, wurde erfragt, ob Betriebe von vermehrter Tourismus- bez. Weintourismusaktivität in der jeweiligen Region in der Form profitieren, dass Sie neue Käuferschichten oder Konsumenten gewinnen konnten. Von den 37 befragten Winzergenossenschaften bestätigten 89,19%, dass sie wirtschaftlich von diesem Zuwachs profitieren. 2,7% verneinten die Frage und 8,11% haben dies nicht wahrgenommen. Auch hier gibt es keine signifikanten Unterschiede in den Aussagen von Baden und Württemberg.

Um die Antwort bei der jeweiligen Genossenschaft, welche die Frage mit “ja” beantwortet haben, zu konkretisieren, wurden die jeweiligen Teilnehmer zu einer Unterfrage weitergeleitet und befragt, in welcher Form sich dies äußert. Bei der Beantwortung waren Mehrfachnennungen möglich. Dabei bestätigten sich die Aussagen der ersten Frage, dass 90,91% einen erhöhten Direktverkauf feststellten, bei 63,64% steigt die Zulieferung an die Gastronomie, 42,42% nehmen vermehrte Veranstaltungen in der Region wahr, die sie beliefern, und 63,64% haben einen vermehrten Zulauf bei hauseignen Veranstaltungen.

Um die Wichtigkeit des Weintourismus in Bezug auf den Direktverkauf nochmals zu hinterfragen, wurden die Experten persönlich nach dem Stellenwert befragt. Hier zeigte sich, dass für alle Weintourismus ein Direktmarketinginstrument ist - wenngleich auch der Stellenwert, aufgrund der Größe der befragten Betriebe unterschiedlich eingeschätzt wird. So ist es vor allem für kleinere Winzergenossenschaften als Marketinginstrument elementar, wie Experte 1 konstatierte: “… Weintourismus ist für uns überlebensnotwendig, auch als kleine Genossenschaften, sobald der Weintourist zu uns ins Haus kommt, haben wir die Möglichkeit, in den sogenannten Nahkampf überzugehen… sich direkt auszutauschen ist eigentlich das Wichtigste in der Weinvermarktung.” Experte 3 ergänzt: “…bei Veranstaltungen. Weinproben und Weinfeste die wir haben, merke ich, wirken sich meistens direkt am Tag danach auf die Vinothekenumsätze aus.” Für größere Winzergenossenschaften ist dies, aufgrund des geringeren Direktabsatzes nicht im gleichen Maß ausschlaggebend für den Direktverkauf. Doch auch hier stellt es ein Instrument dar, um sich regional und überregional zu profilieren, wie Experte 4 feststellt:,,. wir haben eine nationale Marke, wir arbeiten hauptsächlich auch mit dem Handel. Weintourismus machen wir, um gezielt Verbraucher in unsere Vinotheken für unser Direktgeschäft zu begeistern, indem der einmal bei uns war, und das sozusagen erlebt hat, der ist natürlich in ganz besonderer Weise mit uns verbunden.”

Zur Einschätzung der Gewichtung des Weintourismus in den Winzergenossenschaften, wurde der Anteil der durch Weintourismus generierte Direktabsatz prozentual zum Gesamtumsatz abgefragt. Bei den 22 von den Teilnehmern abgegebenen Angaben zeigte sich, dass bei einem Mittelwert von 12,36 Prozent - bei einer Standartabweichung von 11,85 - der Anteil sehr individuell von der Betriebsgröße abhängt (siehe Tabelle 2). Es zeigt sich, dass vor allem kleinere Winzergenossenschaften, ähnlich wie bei Weingütern [26] auf das Marketinginstrument Weintourismus angewiesen sind - wenngleich festzuhalten bleibt, dass sich unabhängig von der Größe alle Genossenschaften in diesem Bereich engagieren.

Tabelle 2.

Anteil der durch Weintourismus generierte Direktabsatz.

4.2. Das weintouristische Angebot von Winzergenossenschaften

Zur Erhebung, welche Art von Angebot die Winzergenossenschaften anbieten, wurden die in der Literatur am häufigsten aufgelisteten klassischen Angebote der Weingüter abgefragt, um aufzuzeigen, ob diese Angebote auch von Winzergenossenschaften umgesetzt werden. Die Abfrage wurde noch um das Feld “Sonstiges” erweitert, in das die Teilnehmer eigene Veranstaltungen eintragen konnten. Es zeigt sich in der Auswertung (siehe Tabelle 3), dass die klassischen Angebote Weinproben, Weinwanderungen, Kellerführungen, Hoffeste und der Wein-ausschank im Weinberg von den meisten Winzergenossenschaften angeboten wird. Das Feld “Sonstige” wurde von keinem Teilnehmer ausgefüllt. Signifikante Unterschiede der beiden Anbaugebiete gibt es nur im Bereich Kellerführungen, was auf die unterschiedliche Durchschnittsgröße der Genossenschaften in den beiden Anbaugebieten zurückgeführt werden kann. Ausschlaggebend ist hier, dass in Baden sehr viel kleinere Genossenschaften existieren und hier die Produktion weniger Industriecharakter besitzt. Es zeigte sich bei der Abfrage, dass nur ein sehr geringer Teil der Winzergenossenschaften über einen Kinderspielplatz verfügen. Dies ist sicher der Zielgruppe der Weintouristen geschuldet, die im Alter um die 50 Jahre zu suchen sind [19]. Zusätzlich wurde abgefragt, seit welchem Zeitraum die Winzergenossenschaften diese Angebote im Potpourri haben. Hier zeigte sich, dass die Angebote, die in den meisten Betrieben umgesetzt werden, auch den längsten Bestand haben und so traditionell zu den Winzergenossenschaften gehören. Angebote, die bei den Betrieben in den letzten beiden Jahrzehnten realisiert wurden, sind Weinausschank in den Weinbergen, Kulturveranstaltungen (z.B. Lesungen im Weinkeller), thematische Weinproben (z.B. Wein und Schokolade) und thematische Hoffeste (z.B. Advent in der Winzergenossenschaft). Winzergenossenschaften haben hier sowohl die klassischen Angebote der Weingüter ebenso wie neuere Angebote in ihr Programm aufgenommen.

Tabelle 3.

Weintouristische Angebote und Zeitraum bei Winzergenossenschaften.

Wie aus der Literatur entnommen, stellt Weintourismus für viele Weingüter einen eigenen Bereich der Wertschöpfung dar. Um einordnen zu können, inwiefern dies auch eine Rolle bei Winzergenossenschaften spielt, wurden die Experten dahingehend befragt. Die Aussagen belegen, dass für viele Weintourismus nur das Marketinginstrument verkörpert, es wird gezielt keine eigne Wertschöpfung durch die Veranstaltung generiert. Alle Befragten trafen in dieser Frage dieselbe Aussage, dass die Veranstaltungen für sie kostendeckend ausgerichtet sind und für sie hauptsächlich “Werbeveranstaltungen” für den Direktverkauf darstellen.

4.3 Einbindungen der Mitglieder in den Weintourismus

Zur Organisation und Umsetzung der Weintourismus-Strategie ist es weiterhin interessant, wie Winzergenossenschaften auf das Potenzial der involvierten Mitglieder zurückgreifen, um diese in die Aktivitäten miteinzubeziehen. Dazu wurde erhoben, inwieweit in der jeweiligen Winzergenossenschaft weintouristische Aktivitäten von Mitgliedern eigenständig durchgeführt werden. Denn nicht selten existieren in Winzergenossenschaften divergierende Interessen von Mitgliedern und Management, was sich in einer unterschiedlichen Rollenverteilung innerhalb der Genossenschaften abzeichnet, da Mitglied und Geschäftsführung eine Doppelfunktion ausüben (Prinzipal-Agenten-Theorie) [27]. Deshalb war auch die Motivation ein interessanter Ansatz, der durch die Frage “Inwieweit motivieren Sie ihre Mitglieder, eigene weintouristische Veranstaltungen durchzuführen?” erhoben wurde. Die Fragen wurden mithilfe einer sechsstufigen Likert-Skala (1 = sehr häufig bis 6 = nie) erhoben. Die Antworten liefern kein eindeutiges Bild: Bei 48,66 Prozent der befragten Betriebe werden eher häufig Veranstaltungen von Mitgliedern durchgeführt (Stufen 1, 2 und 3), bei 51,34 Prozent nicht (Stufen 4, 5 und 6). Bei der Motivation gaben 67,57 Prozent der Geschäftsführer an, ihre Mitglieder zu motivieren, eigene Veranstaltungen durchzuführen (Stufen 1, 2 und 3). Diese Aussagen unterscheiden sich - weder in der eigenständigen Durchführung p = 0 ,6892) noch in der Motivation (zweis. MWU-Test: p = 0 ,8103) - auch nicht in den beiden Anbaugebieten. Bei der Befragung der Experten waren die Aussagen ebenso zweigeteilt: Für zwei der Befragten ist die Einbindung der Mitglieder ein elementarer Geschäftsbereich, um diese an die Winzergenossenschaft zu binden und das “Wirgefühl” zu stärken. Zudem bietet es den Mitgliedern die Möglichkeit, ein Zusatzeinkommen zu generieren. Die Einbindung der Mitglieder ist größtenteils auf Veranstaltungen im Außenbereich und der teilweise eigenen Flächen angelegt, um hier eine gewisse Authentizität der Genossenschaft zu vermitteln. Dies wurde auch vom Experten 4 bestätigt: “…Das fördert in beide Richtungen, das fördert die Verifikation des Endverbrauchers, die sehen, dass die Persönlichkeiten, die selbst den Wein erzeugen, also in dem Fall der Anbau. Bei dem Mitglied selbst ist es auch rückwärts Motivation, weil sie mit den Verbrauchern in Kontakt kommen, die Informationen, Verbraucherwünsche auch persönlich erleben. Das ist für den Geschäftsführer, sagen wir mal, sehr angenehm, weil er dann Mitglieder hat, die auch richtig gebildet sind in dem Punkt, wie schwer es ist, was zu vermarkten.”

5 Schlussfolgerung

Der deutsche Weinmarkt steht aufgrund des zunehmenden nationalen und internationalen Wettbewerbs unter Zugzwang, sich neue Diversifikationsmöglichkeiten zu erarbeiten. Eine Möglichkeit ist die Partizipation am zunehmenden Trend des Weintourismus. Auch deutsche Winzergenossenschaften, unabhängig von ihrer besonderen Unternehmensstruktur, haben die Möglichkeit diese Entwicklung für sich zu nutzen. Bei der Frage, inwieweit sich Winzergenossenschaften im Bereich des Weintourismus engagieren und welche Motive sie damit verfolgen, konnte aufgezeigt werden, dass Winzergenossenschaften identisch wie Weingüter weintouristische Aktivitäten in ihre Unternehmensstruktur integriert haben. Im Gegensatz zu den meisten Weingütern nicht vor dem Hintergrund, eine eigene Wertschöpfung zu generieren, sondern lediglich mit dem Ziel, als Marketinginstrument den Direktverkauf zu verstärken, bzw. um ihre Reputation auf- und auszubauen. Dabei muss nach Größe, Vermarktungsmenge und Distributionsstruktur der Winzergenossenschaften unterschieden werden: Für kleinere Winzergenossenschaften mit einem bedeutenden Absatz im direkten Vertrieb, stellt Weintourismus eine betriebswirtschaftliche Überlebensstrategie und Verkaufsförderung dar, um einen geregelten Absatz ihrer Produkte zu realisieren. So werden unterschiedliche Ansätze deutlich. Genossenschaften mit vermehrtem indirektem Vertrieb sehen diese Kommunikationsmaßnahme als Direktkommunikation für die Erschließung neuer Verbraucher- oder Zielgruppen. Wie innovativ Winzergenossenschaften bei der Realisierung und Auswahl ihrer Aktivitäten sind, konnte durch die quantitative Erhebung gezeigt werden, denn es dominieren vorrangig traditionelle Angebote. Dies spiegelt zwar zum einen die Erwartung der Weintouristen wieder, wie in [19] aufgezeigt wurde, allerdings beschränkt man sich dabei im Wesentlichen nur auf eine hauptsächliche Zielgruppe, nämlich die der sogenannten “Best Ager”. So werden beispielsweise Rahmenangebote wie Kinderspielplätze, die für die Erschließung neuer Zielgruppen elementar sind [28], bei Winzergenossenschaften eher vernachlässigt und sind nur vereinzelt zu finden. Es zeigt sich, dass neue und zusätzliche Angebote bei Winzergenossenschaften nur sehr langsam integriert werden. Die Erwartungshaltung der Weintouristen, die insbesondere auch den Erlebniswert präferiert, wird vernachlässigt. Ein Gegenstand zukünftiger Forschungsarbeiten könnte daher sein, welcher strategische Zusammenhang hinter Weintourismus als Marketingstrategie und der Erwartungshaltung der Weintouristen steht und in wieweit diese und der Weintourismus generell von institutionellen Organisationen gelenkt wird.

Bei der Frage inwieweit Winzergenossenschaften auf das Potenzial der involvierten Mitglieder zurückgreifen, um diese in die Aktivitäten miteinzubeziehen, konnte kein einheitliches Bild eruiert werden - weder in Form der Größe, Mitgliederzahl oder Region. Es zeigte sich bei den Interviews mit den Experten, dass die Integration in den operativen Ablauf der Veranstaltungsdurchführung sehr stark vom persönlichen Engagement der Geschäftsführer abhängig ist. Dabei wird von vielen Genossenschaften das Potenzial, das von Mitgliedern bei der Durchführung, aber auch hinsichtlich der Kommunikation von Weinveranstaltungen eingebracht werden kann (KAGERMEIER und HARMS, 2013), unterschätzt. Gerade die Einbindung der Mitglieder bietet eine Möglichkeit, um diese emotional an die Genossenschaft zu binden. Zudem bietet diese Zusammenarbeit Potential, das Qualitätsdenken der abliefernden Mitglieder anzuheben, da sie als Multiplikatoren in den direkten Kontakt mit dem Konsumenten treten und so für ihr weiterverarbeitetes Produkt den Absatz generieren.

Hinsichtlich der Definition lässt sich festhalten, dass Weintourismus immer - je nach Blickwinkel - die Sichtweise des Anbieters oder Nachfragers annimmt, wobei unabhängig des Konsums oder der Direktvermarktung das weinbezogene Erlebnis und die Ortsveränderung zur ausführenden Destination im Vordergrund stehen. Bezugnehmend auf die Literatur werden alle Aktivitäten, die Weingüter und Winzergenossenschaften durchführen, unter dem Begriff Weintourismus vermarktet wie z.B. Hoffeste oder gastronomische Einrichtungen. Hierbei ist zu differenzieren, ob es die definitorischen Grundzüge enthält, um die Zielgruppe der Touristen anzusprechen oder nur der lokale Konsument im Fokus stehen.

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Alle Tabellen

Tabelle 1.

Einfluss Weintourismus auf den Direktverkauf von Winzergenossenschaften.

Tabelle 2.

Anteil der durch Weintourismus generierte Direktabsatz.

Tabelle 3.

Weintouristische Angebote und Zeitraum bei Winzergenossenschaften.

Alle Figuren

thumbnail Abb 1.

Sichtweisen auf den Weintourismus.

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